Empfehlung für den Einsatz von Maßnahmen zur Begrenzung systemischer Risiken aus der privaten Wohnimmobilienfinanzierung (FMSG/2/2022)

31. Sitzung, 1. März 2022

Systemische Risiken aus der privaten Wohnimmobilienfinanzierung

Das FMSG hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den systemischen Risiken aus der privaten Wohnimmobilienfinanzierung auseinandergesetzt und bereits seit dem Jahr 2015 regelmäßig im Rahmen seiner Presseaussendungen auf kritische Entwicklungen in diesem Segment hingewiesen. Der ersten qualitativen Leitlinie in der Presseaussendung zur neunten FMSG-Sitzung im September 2016 folgte eine quantitative Leitlinie in der Presseaussendung zur siebzehnten Sitzung im September 2018. Parallel haben auch FMA und OeNB ihre Kommunikation zu den Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung intensiviert. In den letzten beiden Jahren hat sich der Aufbau der systemischen Risiken allerdings deutlich beschleunigt: Das Wachstum der Immobilienpreise und Immobilienkredite ist weiter angestiegen – Entwicklungen, die auch im europäischen Vergleich auffällig sind. Das Marktumfeld in Österreich ist zudem geprägt von einem hohen Wettbewerb, einem hohen Anteil an variabel verzinsten Krediten, der viele Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer gegenüber steigenden Zinsen verwundbar macht, sowie hohen Schuldendienst- und Beleihungsquoten in der Neukreditvergabe1. Auch wenn ein gut entwickelter Mietmarkt mit einem hohen Anteil gemeinnütziger Anbieter, eine geringe Bedeutung von kreditfinanziertem Immobilienerwerb zur privaten Weitervermietung, im internationalen Vergleich hohe Einkommen und Vermögen der österreichischen Haushalte und eine adäquate Kapitalausstattung des Bankensektors – auch aufgrund der vom Gremium empfohlenen makroprudenziellen Kapitalpuffer – wichtige risikoreduzierenden Faktoren sind, besteht im Krisenfall das Risiko einer Störung von Teilen des Finanzsystems aufgrund erhöhter Verluste aus privaten Wohnimmobilienfinanzierungen für das Bankensystem mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft.

Empfohlene Maßnahmen

Das FMSG empfiehlt daher der FMA, Maßnahmen zur Begrenzung systemischer Risiken aus der Immobilienfinanzierung nach § 23h Bankwesengesetz (BWG) für das Segment der privaten Wohnimmobilienfinanzierungen einzusetzen. Das Gremium hat auch andere immobilienbezogene Maßnahmen evaluiert und festgestellt, dass Maßnahmen nach § 23h BWG angesichts der oben beschriebenen systemischen Risiken das adäquate und effektive Mittel sind, um den weiteren Aufbau der systemischen Risiken aus der privaten Wohnimmobilienfinanzierung zu reduzieren. Auch der Europäische Rat für Systemrisiken (ESRB), die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und der Internationale Währungsfonds (IMF) empfehlen den Einsatz dieser Maßnahmen in Österreich.

Die empfohlenen Maßnahmen haben sich im internationalen Einsatz effektiv darin erwiesen, systemische Risiken zu reduzieren. Diese Maßnahmen reduzieren nicht nur die Verluste aus Immobilienkrediten für den Bankensektor und das damit verbundene Risiko für die Finanzmarktstabilität und die Realwirtschaft, sondern schützen auch Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer vor den Konsequenzen einer Überschuldung. Die intendierten Maßnahmen reduzieren also die problematischen Aspekte der Immobilienkreditvergabe, wie zu geringe Besicherungen, zu hohe Schuldendienste und zu lange Laufzeiten, ermöglichen aber weiterhin die Vergabe von Immobilienkrediten zu nachhaltigen Konditionen. Zudem sollen Ausnahmekontingente die notwendige Flexibilität gewährleisten.

Das Gremium empfiehlt der FMA eine maximale Beleihungsquote nach § 23h Abs. 2 Z.1 BWG in Höhe von 90% mit einem Ausnahmekontingent in Höhe von 20%, eine maximale Schuldendienstquote nach § 23h Abs. 2 Z.3 BWG in Höhe von 40% mit einem Ausnahmekontingent von 10% und eine maximale Laufzeit in Höhe von 35 Jahren nach § 23h Abs. 2 Z.4 BWG mit einem Ausnahmekontingent von 5%2. Die angeführten Ausnahmekontingente nach § 23h Abs. 4 Z.2 BWG ergeben sich aus der Abwägung zwischen der Notwendigkeit, den Aufbau der systemischen Risiken zu reduzieren und gleichzeitig ausreichend Flexibilität einzuräumen. Das FMSG empfiehlt, dass die Summe aller neu vergebenen Kredite, die innerhalb eines Halbjahres unter eines der oben angeführten Ausnahmekontingente fallen, maximal 20% des neuvergebenen Kreditvolumens im selben Zeitraum ausmachen. Es soll eine personenbezogene Freigrenze von 40 Tsd EUR (Summe aller privaten Wohnimmobilienfinanzierungen je Kreditnehmer:in) gelten.  Bis zum Inkrafttreten der Maßnahmen erwartet das Gremium von den Kreditinstituten, dass seine 2018 kommunizierten Leitlinien eingehalten werden.
 

1 Die Immobilienpreise haben sich in Österreich zwischen Ende 2010 und Ende 2021 verdoppelt, im Euroraum betrug der Anstieg im selben Zeitraum nur etwas mehr als ein Drittel. Das mittlere jährliche Immobilienkreditwachstum betrug seit Ende 2010 in Österreich 4,2%, im Euroraum 2,6%. Seit Ende 2019 hat sich das mittlere jährliche Immobilienkreditwachstum in Österreich auf 6,1% beschleunigt (Euroraum 4,7%). Der Anteil der variabel verzinsten Kredite ist im Neugeschäft in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen, aber mit knapp 40% zum dritten Quartal 2021 auch im Euroraum-Vergleich hoch geblieben; Mitte des vergangenen Jahrzehnts lag der Anteil noch bei über 80%. Der Anteil des Volumens an Neukrediten, die einen Schuldendienst von über 40% des Nettoeinkommens auswiesen, betrug im ersten Halbjahr 2021 18%. Deutlich mehr als die Hälfte des Neukreditvolumens im ersten Halbjahr 2021 wies eine Beleihungsquote, welche die Gesamtverschuldung in Relation zur hypothekarischen Besicherung und weiterer anrechenbarer finanzieller Sicherheiten setzt, von über 90% auf oder waren unbesichert. 

2 Der Anwendungsbereich entspricht § 6a Abs.1 der Verordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde zum Vermögens-, Erfolgs- und Risikoausweis – VERA-V BGBl. II Nr. 471/2006 in der jeweils geltenden Fassung.